Die Untersuchungshaft darf auch bei gravierenden Straftaten nur in Ausnahmefällen länger als sechs Monate dauern. Das Bundesverfassungsgericht gab einer Verfassungsbeschwerde eines Mannes statt, der seit über 6 Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Das OLG Nürnberg hatte die weitere Haftfortdauer angeordnet, weil „gründlich ermittelt“ werden müsse.
Das Bundesverfassungsgericht erachtete „gründliche Ermittlungen“ nicht als ausreichenden Grund für eine über sechs Monate dauernde U-Haft.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 15. Juli 2006 wegen des Verdachts des versuchten Mordes mit schwerer Brandstiftung in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hat noch keine Anklage erhoben. Im September 2006 verwarf das Landgericht Nürnberg-Fürth die Haftbeschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet. Im Januar 2007 ordnete das Oberlandesgericht Nürnberg die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus an. Die Besonderheiten des Falles machten gründliche Ermittlungen erforderlich, für die eine lange Bearbeitungszeit zu veranschlagen sei. Das ursprüngliche Geständnis werde von der Verteidigung nicht anerkannt und müsse unabhängig hiervon nachgeprüft werden. Der Abschluss der polizeilichen Ermittlungen sei für die nächste Zeit zu erwarten, nachdem vor kurzem mehrere beim Landeskriminalamt eingeholte Stellungnahmen eingegangen seien.

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers, mit der er sich gegen die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft wandte, war erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht hob den Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts auf, da er den Beschwerdeführer in seinem Freiheitsgrundrecht in Verbindung mit seinem Anspruch auf ein faires Verfahren verletze. Der Beschluss des Oberlandesgerichts lasse nicht mit der in Haftsachen zu fordernden Gewissheit erkennen, dass das Verfahren nicht durch der Justiz anzulastende Fehler in verfassungswidriger Weise verzögert wurde. Das Oberlandesgericht muss unverzüglich erneut in der Sache entscheiden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Nach § 121 Abs. 1 StPO darf Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Die Sechs-Monats-Frist stellt dabei nur eine Höchstgrenze dar. Aus § 121 Abs. 1 StPO kann nicht der Schluss gezogen werden, dass das Strafverfahren bis zu diesem Zeitpunkt nicht dem Beschleunigungsgebot gemäß geführt werden muss. Die Vorschrift erfordert ihrem Wortlaut nach eine doppelte Prüfung. Zum einen müssen Feststellungen darüber getroffen werden, ob die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder andere wichtige Gründe ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben (erste Stufe). Liegen derartige Gründe vor, ist zum anderen erforderlich, dass sie die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen (zweite Stufe).

Der Beschluss des Oberlandesgerichts verhält sich zu diesen Voraussetzungen nicht. Vor allem legt er nicht dar, worin die besonderen Schwierigkeiten oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder gar ein anderer wichtiger Grund bestanden haben sollen, die ein Urteil bislang nicht zuließen. Schließlich hat das für die Durchführung der Hauptverhandlung zuständige Landgericht Nürnberg-Fürth bereits in seiner Haftbeschwerdeentscheidung vom September 2006 festgestellt, dass gegen die Einführung der Aussagen des Beschwerdeführers in das Verfahren keine Bedenken bestehen. Stattdessen beschränkt sich das Oberlandesgericht auf die Feststellung, die Besonderheiten des Falles machten gründliche Ermittlungen erforderlich, für die eine lange Bearbeitungszeit zu veranschlagen sei. Eine Subsumtion unter die engen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO ist darin nicht zu erkennen. Weder werden die Besonderheiten des Falles aufgezeigt noch wird dargelegt, welche Ermittlungsmaßnahmen in welchem Stadium des Verfahrens ergriffen wurden. Die materielle Grundrechtsposition des Betroffenen darf nicht durch eine systematische Verkürzung des einfach-rechtlichen Anwendungsprogramms des § 121 Abs. 1 StPO entwertet werden. Das Grundrecht der persönlichen Freiheit und das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren verlangen eine hinreichende Begründung, die das Bundesverfassungsgericht in die Lage versetzt, eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen zu prüfen.

Ungeachtet dessen könnte die Fortdauer der Untersuchungshaft auch nicht mit der Erwägung gerechtfertigt werden, der Beschwerdeführer habe ohnehin mit einer mehrjährigen Haftstrafe zu rechnen. Die Schwere der Tat und die im Raum stehende Straferwartung sind im Zusammenhang mit § 121 StPO ohne jede Bedeutung. Sollte sich im Rahmen der nunmehr erneut durchzuführenden Haftprüfung ergeben, dass über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder Monaten hinweg keine verfahrensfördernden Ermittlungshandlungen stattgefunden haben, kann eine Fortdauer der bereits mehr als sechs Monate andauernden Untersuchungshaft nicht angeordnet werden.

Bundesverfassungsgericht 29.03.2007
Aktenzeichen: 2 BvR 489/07

Manfred Koch

Rechtsanwalt und Notar

Fritz Willig

Rechtsanwalt

Rechtsanwalts- und Notarkanzlei
Willig, Koch & Kollegen GbR
Hildesheimer Straße 124

30880 Laatzen

Telefon: (05 11) 87 57 27 0
Telefax: (05 11) 87 11 02